Erste Schritte zur Umsetzung des Kulturartikels in der Bundesverfassung (BV 69)

Brief von Suisseculture und PAcK an das Bundesamt für Kultur, 16.12.02 Entwurf Kulturfördergesetz (KFG)

Sehr geehrter Herr Reichenau (Stellvertretender Direktor BAK)
Sehr geehrte Mitglieder der Steuergruppe zur Umsetzung von BV 69

Mit Schreiben vom 21. November 2002 wurden Sie über die Zusammenarbeit der Begleitgruppe von Frau Mili (Persönlichkeiten des Suisseculture-Vorstandes und des Arbeitskreises PAcK sowie des Schweizer Musikrats) informiert. Diese hat sich am 19. November mit Frau Mili zu einem ausführlichen Meinungsaustausch getroffen. Zu unserem Bedauern konnte uns Frau Mili jedoch auf Grund des Kommissionsgeheimnisses nicht im Detail über den aktuellsten Stand informieren, so dass wir mit ihr vor allem die grossen Leitmotive diskutiert haben. 

Im Nachgang zu diesem Treffen haben Suisseculture und PAcK gemeinsam einige Eckpunkte zusammengestellt, die aus der Sicht der Künste und jener der Kulturschaffenden unbedingt in einem künftigen Kulturfördergesetz enthalten sein müssen. Eine ausführliche Stellungnahme zu diesen und weiteren Themen werden wir, nach einem intensiven internen Diskussionsprozess, Anfang März ausarbeiten.

Unterdessen haben wir eine neue Version des Gesetzesentwurfs erhalten (Stand: 05.12.02 - CR/ars), in dem erfreulicherweise eine Reihe der von uns genannten Punkte eingearbeitet worden sind. Es versteht sich von selbst, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt noch keine ausführliche Stellungnahme dazu abgeben können. 

Zentral ist für uns, dass das neue Gesetz keine Festschreibung des Status quo ist. Bei der Umsetzung von BV 69 in ein Kulturfördergesetz sind folgende Punkte unabdingbar: 

1. Kunst, Kunstfreiheit und die Kreation 

Erfreulich ist, dass im Entwurf nun das Grundrecht der Kunstfreiheit explizit erwähnt wird, und zwar im aktiven und positiven Sinne: Der Bund soll nicht nur vor ungerechtfertigten Eingriffen schützen, sondern sich aktiv für die Verwirklichung der Kunstfreiheit einsetzen (Förderung der freien und unabhängigen künstlerischen Produktion und des Zugangs zum Kunstschaffen). 

Im Gesetz soll unmissverständlich zum Ausdruck kommen, dass im Zentrum die Künste und das künstlerische Schaffen stehen (création; Werk). Die Pflicht des Bundes, zur Gewährleistung des Grundrechts der - positiven und negativen - Kunstfreiheit (BV 21) initiativ zu werden, soll aus dem Kulturfördergesetz klar hervorgehen.

Die begriffliche Abgrenzung der Künste bzw. des künstlerischen Schaffens von einem allgemeinen Kulturbegriff (Zugang zur Kultur ist nicht Zugang zu den Künsten) muss noch klarer entwickelt werden.

2. Transparente Zuständigkeiten, Unterstützungs- und Förderkriterien

Wie schon an der Anhörung vom 20. September 2002 von vielen anwesenden Kulturorganisationen gefordert und auch in der Pressemitteilung des BAK aufgenommen, erwarten wir in allen Förderbereichen schon auf Gesetzesstufe Klarheit: Wer entwickelt, wer fällt - warum und aufgrund welcher Kriterien - Förder- bzw. kulturpolitische Grundsatzentscheide? Welche Kompetenzen hat die Verwaltung, welche werden gewählten Gremien (Kulturförderungskommission!) übertragen? Wer wählt diese Gremien, wie sind sie zusammengesetzt?

3. Formalisierte Informations- und Konsultationsbeziehung (Mitwirkung, Mitbestimmung)

Wir verweisen wiederum auf die Stellungnahme von Suisseculture vom 19. September 2002 und die Eingabe von PAcK z.Hd. der Steuergruppe vom 24. November 2001. Wir erwarten im neuen Kulturfördergesetz die explizite Verankerung einer formalisierten und rechtzeitigen Einbindung, Information und Konsultation der Kunst- und Kulturschaffenden und ihrer Organisationen, weil viele Entscheide und Erlasse des Departements unmittelbar Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen und die soziale Lage der KünstlerInnen haben. Wir meinen, dass diese Verankerung im Gesetz eingeräumt werden muss.

4. Für- und Vorsorge für Kulturschaffende 

Im Gesetz muss die Kompetenz des Bundes verankert sein, im Bereich der Für- und Vorsorge für Kulturschaffende tätig zu werden. Detaillierte Ziele, Massnahmen und Regelungen können in der Verordnung und allenfalls in den Förderkonzepten festgehalten oder direkt in den entsprechenden Spezialgesetzgebungen verankert werden. Es ist aber unabdingbar, dass sowohl im Bereich der Fürsorge wie auch der Vorsorge eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für ein Handeln des Bundes geschaffen wird. Nach Gwatt, BAK-Arbeitsgruppe Hilfsmöglichkeiten für Kulturschaffende, Subventionierung von Suisseculture Sociale und Contact etc. hätten wir absolut kein Verständnis, wenn bei diesen Themen nur auf die Verordnung oder die Spezialgesetzgebungen verwiesen würde. 

5. Aufgabenteilung Pro Helvetia - Bundesamt für Kultur

Ebenfalls erwarten wir, dass für die Diskussion des Entwurfs des Kulturfördergesetzes das Pro Helvetia-Gesetz auf vergleichbarer Entwicklungsstufe vorliegt, damit beide Entwürfe im Zusammenhang gewürdigt werden können und die Aufgabenteilung, die Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten eindeutig ersichtlich sind. 

Die Aufgabenteilung muss zumindest im Grundsatz vom Gesetzgeber vorgenommen werden.

6. Zugang zu und Beteiligung an Kunst und Kultur, Bildungsangebote für Kunst- und Kulturschaffende 

Wir begrüssen die Stossrichtung der Artikel 10 bis 12 im aktuellen Entwurf des Kulturfördergesetzes. Es wäre auch hier wünschenswert, dass im Gesetz noch klarer zum Ausdruck kommt, dass der Zugang zu und Beteiligung an den Künsten im Vordergrund steht.

Insbesondere Heranwachsenden soll der Zugang zu und die Beteiligung an Kunst und Kultur ermöglicht werden. Bei der Einlösung dieser Verpflichtung gegenüber den kommenden Generationen soll der Bund die Bestrebungen von Kantonen, Städten und Gemeinden im Rahmen seiner Möglichkeiten unterstützen. Im Gesetz fehlt dieser Auftrag. Wir könnten uns deshalb in Art. 12 einen neuen, programmatischen Absatz vorstellen: "Er fördert den Zugang und die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen am kulturellen und künstlerischen Leben, indem er Bestrebungen der Kantone, Städte und Gemeinden unterstützt."

Weitere Fragen

Eine offene Frage, deren Beantwortung uns sehr interessiert, haben wir bezüglich des "Observatoire culturel", d.h. der Erhebung von Statistiken und Zahlen zur Erfassung und Abbildung der kulturellen Wirklichkeit, um daraus Ziele und Massnahmen für eine Kulturförderpolitik abzuleiten: Was will man damit bewirken? Was soll erhoben werden und wer definiert die Kriterien? Mit wem und wie geht man vor?

Abschliessend möchten wir unserer Hoffnung Ausdruck geben, dass uns die Unterlagen vor der nächsten Anhörung (geplant im Mai 2003) dieses Mal rechtzeitig und mindestens in zwei Sprachen (f/d) zugestellt werden, damit in unseren Verbänden und sonstigen Netzwerken eine fundierte Auseinandersetzung stattfinden und daraus eine konsolidierte Stellungnahme resultieren kann.

Mit freundlichen Grüssen

Yolanda Schweri, Geschäftsführerin Suisseculture 
Jris Bischof, Koordinatorin PAcK 

 

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